Beschwerde, Art. 66 ff. UMV

Teil VII der Unionsmarkenverordnung (UMV) sieht in Art. 66 ff. UMV ein Beschwerdeverfahren gegen Entscheidungen des EUIPO vor und gibt des Weiteren die Möglichkeit der weiteren Überprüfung durch Klage zum Gerichtshof. Diese Vorschriften werden ergänzt durch Art. 165 ff. UMV, entsprechende Regeln in der DVUM sowie die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern. 

Zulässigkeit, Art. 66 UMV

Art. 66 UMV bestimmt die Entscheidungen des Amtes, die mit der Beschwerde angegriffen werden können. Dies sind alle Endentscheidungen der in erster Instanz entscheidungsbefugten Stellen. Ob es sich um Prüfer, Widerspruchsabteilungen, Markenverwaltungs- und Rechtsabteilung oder Nichtigkeitsabteilung handelt, ist unbeachtlich. Allerdings muss es sich stets um eine Endentscheidung handeln; gegen verfahrensbezogene Zwischenentscheidungen ist die Beschwerde nur statthaft, wenn sie ausdrücklich zugelassen ist, vgl. Art. 66 Abs. 2 UMV. 

Sprache, § 68 Abs. 1 UMV

Im Beschwerdeverfahren ist Verfahrenssprache stets die Sprache, in der das Verfahren durchgeführt wurde, in dem die angefochtene Entscheidung erlassen wurde, Art. 68 Abs. 1 UMV; ein Sprachenwechsel ist insofern nicht möglich. Eine Nichtbeachtung von Art. 68 Abs. 1 UMV (also eine Beschwerdeschrift in einer „falschen“ Sprache) hat unmittelbar und ohne vorherige Mitteilung die Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig zur Folge.[1]

Beschwerdebefugnis, Art. 67 UMV

Zur Einlegung der Beschwerde sind nur die Beteiligten des Verfahrens berechtigt, das zu der anzufechtenden Entscheidung geführt hat sowie ggf. ihre Rechtsnachfolger.[2] Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch die angegriffene Entscheidung beschwert ist, Art. 67 Abs. 1 UMV. Der Beschwerdeführer muss ein materielles Interesse an einer Abänderung der Entscheidung haben (materielle Beschwer). Dabei kommt es stets nur auf das Entscheidungsergebnis, nicht aber auf die Entscheidungsbegründung an.

Ist der eigene Widerspruch aus einer von mehreren nationalen Marken erfolgreich und damit die gegnerische Unionsmarkenanmeldung insgesamt zurückgewiesen, besteht kein Anspruch darauf, dass das EUIPO auch über eine Verwechslungsgefahr zu den anderen geltend gemachten Rechten entscheidet. Der Widersprechende ist durch diese Nichtentscheidung (und die damit einhergehende Möglichkeit der Umwandlung in den betroffenen Ländern durch den Gegner) nicht beschwert.[3]

Form und Frist, Art. 68 UMV, Art. 21 ff. DVUM

Die Beschwerde ist schriftlich beim Amt einzulegen. Die fristwahrende Beschwerde muss in jedem Fall die angefochtene Entscheidung und das Begehren des Beschwerdeführers bezeichnen sowie in der „richtigen“ Verfahrenssprache abgefasst sein (nämlich derjenigen, in der die angefochtene Entscheidung ergangen ist).[4] Weitere Förmlichkeiten sind in Art. 21 DVUM geregelt. 

Die Beschwerde muss innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der anzufechtenden Entscheidung eingelegt werden, Art. 68 S. 1 UMV. Gemäß Art. 94 Abs. 3 UMV ist der beschwerdefähigen Entscheidung eine schriftliche Belehrung über die Möglichkeit der Beschwerdeeinlegung und die hierfür geltende Frist beizufügen. Unterbleibt diese Rechtsbehelfsbelehrung, so kann der Beschwerdeführer hieraus allerdings keine Ansprüche herleiten (u.U. werden allerdings seine Erfolgsaussichten eines Wiedereinsetzungsgesuches gemäß Art. 97 UMV verbessert). 

Allein eine fristgerecht vorgenommene Zahlung der Gebühren für das Beschwerdeverfahren ersetzt noch nicht das fristgerechte Einreichen der Beschwerdeschrift mit den näher oben genannten inhaltlichen Anforderungen.[5]

Darüber hinaus ist die Beschwerde innerhalb von 4 Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung zu begründen, vgl. Art. 68 S. 3 UMV. 

Der Beschwerdegegner hat nach Art. 68 Abs. 2 UMV die Möglichkeit der   Anschlussbeschwerde. Ergänzend ist die Anschlussbeschwerde in Art. 25 DVUM geregelt.

Wirkungen, Art. 66 ff. UMV

Die Beschwerde hat gemäß Art. 66 Abs. 1 S. 3 UMV aufschiebende Wirkung

Das Gericht erster Instanz ging zunächst davon aus, dass es sich bei Beschwerdeverfahren um eine uneingeschränkte Tatsacheninstanz handele. Dieser Auslegung der Verfahrensvorschriften hat der EuGH allerdings ausdrücklich widersprochen[6] und dazu festgestellt, dass sämtliche Tatsachen und Beweismittel der Beteiligten, die nicht innerhalb der erstinstanzlich von der Widerspruchsabteilung des Amtes gesetzten Fristen vorgebracht werden, als verspätet anzusehen sind und insofern Art. 95 Abs. 2 UMV gilt.

Bei Einlegung einer Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung eröffnet die Beschwerdebegründungsfrist daher keine neue Frist für das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln. Die „Flucht in das Beschwerdeverfahren“ garantiert einer Partei daher nicht (mehr) die Berücksichtigung dort vorgebrachter neuer Tatsachen und Beweismittel. Hat der Anmelder es im Widerspruchsverfahren versäumt, den Nachweis der ernsthaften Benutzung vom Inhaber der Widerspruchsmarke zu verlangen, so ist ein Nachholen dieses Verlangens im Beschwerdeverfahren unzulässig. Ggf. kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.[7]

Entscheidung

Nach Eingang der Beschwerde beim Amt wird diese in einseitigen Verfahren zunächst der Dienststelle der Ausgangsentscheidung übermittelt, um ihr Gelegenheit zu geben, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Diese Stelle hat aber nur die Möglichkeit der Abhilfe, d.h. sie kann der Beschwerde stattgeben. Verwerfen oder zurückweisen kann sie sie nicht. Hält die Dienststelle die Beschwerde für zulässig und begründet, so muss sie ihr abhelfen. Dies gilt jetzt nur noch im einseitigen (vgl. Art. 69 Abs. 1 Satz 1 UMV) Verfahren. Die unsinnige und ohne Praxis-Relevanz gebliebene Möglichkeit, im zweiseitigen Verfahren abzuhelfen, wurde mit der Reform abgeschafft. Sie war nämlich nur mit Zustimmung des Beschwerdegegners erlaubt (Art. 62 Abs. 1 GMV a.F.), die nie vorgelegen hat.

Wird der Beschwerde nicht binnen eines Monats nach Eingang der Beschwerdebegründung abgeholfen, so ist die Beschwerde gem. § 69 Abs. 2 UMV unverzüglich ohne sachliche Stellungnahme der Beschwerdekammer vorzulegen.

Die Beschwerdekammern bestehen jeweils aus drei Mitgliedern, wovon mindestens zwei rechtskundig sein müssen (Art. 165 Abs. 2 UMV). Die Kammermitglieder werden auf 5 Jahre ernannt und genießen richterliche Unabhängigkeit (vgl. Art. 166 UMV), obwohl es sich bei ihrer Tätigkeit nicht um Rechtsprechung im eigentlichen Sinne handelt. 

Auf das Beschwerdeverfahren finden gemäß Art. 48 DVUM die allgemeinen Verfahrensvorschriften des Titels IX der UMV Anwendung. Diese werden ergänzt durch Einzelregelungen der VerfO und die Art. 21 ff. DVUM. Insbesondere gilt auch bei den Beschwerdekammern der Amtsermittlungsgrundsatz gemäß Art. 95 Abs. 1 UMV. Im Übrigen kann hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrensrechts auf die bereits oben referierten allgemeinen Verfahrensvorschriften verwiesen werden. 

Ist die Beschwerdekammer der Auffassung, dass die Beschwerde bereits unzulässig ist, so verwirft sie die Beschwerde, wobei dem Beschwerdeführer eine Nachfrist zur Nachbesserung gesetzt werden kann (Gebot des rechtlichen Gehörs). 

Das Beschwerdeverfahren unterliegt dem Antragsprinzip, d.h. die Beschwerdekammer darf die angefochtene Entscheidung nur im Rahmen der Anfechtung überprüfen. Eine reformatio in peius ist nicht möglich, was schon daraus folgt, dass für den Beschwerdeführer ungünstige Entscheidungen schon in Ermangelung einer entsprechenden Beschwerdebefugnis nicht Verfahrensgegenstand der Beschwerde werden. Allerdings ist die Beschwerdekammer nicht daran gehindert, die Begründung einer Entscheidung zu ändern bzw. zu variieren, wenn und soweit sie sich innerhalb des Streitgegenstands bewegt. Wird beispielsweise eine Widerspruchszurückweisung zunächst mit der Unähnlichkeit der sich gegenüber stehenden Waren begründet, so ist die Beschwerdekammer nicht daran gehindert, in ihrer Begründung auf die Unähnlichkeit der Zeichen abzustellen (denn beide Argumente betreffen die Frage der Verwechslungsgefahr).[8]

Gemäß Art. 71 Abs. 1 S. 2 UMV kann die Beschwerdekammer entweder selbst über die Beschwerde entscheiden oder die Sache zur weiteren Entscheidung (ggf. auch zur weiteren Tatsachenermittlung) an die Dienststelle zurückverweisen, die die angefochtene Entscheidung getroffen hat. Erfolgt eine Zurückverweisung, so ist die Dienststelle an die rechtliche Beurteilung der Angelegenheit durch die Beschwerdekammer gebunden, Art. 71 Abs. 2 UMV. 

Trifft die Beschwerdekammer eine eigene Sachentscheidung, so muss diese den Anforderungen der Regel 50 Abs. 2 UMDV genügen, d.h. sie muss eine kurze Sachverhaltsdarstellung, die Anträge der Beteiligten, die Entscheidungsgründe, die Entscheidungsformel sowie eine Kostenentscheidung beinhalten. Entscheidungen der Beschwerdekammern werden gemäß Art. 71 Abs. 3 UMV erst wirksam, wenn die 2-Monats-Frist nach ihrer Zustellung für die Klage zum Gerichtshof gemäß Art. 72 Abs. 5 UMV abgelaufen ist bzw. das Rechtsmittelverfahren abgeschlossen ist.[9]

Insgesamt ergeben sich die folgenden Entscheidungsvarianten im Beschwerdeverfahren:

Entscheidungsvarianten Beschwerdeverfahren


[1] Vgl. EuG, 17.09.2008, T-218/06, GRUR Int 2009, 417 - Neurim Pharmaceuticals ./. HABM.

[2] Vgl. EuGH, 19.1.2012, C-53/11, HABM ./. Nike, GRUR Int 2012, 236.

[3] Vgl. EuG, 16.09.2004, T-342/02, GRUR Int. 2005, 56, Rn. 43 – MGM.

[4] Vgl. EuG, 17.09.2008, T-218/06, GRUR Int. 2009, 417 – Neurim Pharmaceuticals ./. HABM

[5] Vgl. EuG, Urt. v. 09.09.2010 – T-70/08

[6] Vgl. EuGH, 13.03.2007, C-29/05 P, GRUR 2007, 504 – HABM ./. Kaul.

[7] Vgl. EuG, Urt. vom 11.5.2011 – T-74/10 Flaco Geräte GmbH ./. HABM.

[8] Vgl. EuG, 10.10.2006, T-172/05, GRUR Int. 2007, 55 (56) – Armacell ./. HABM.

[9] Zur sog. „Großen Kammer“ vgl. von Kapff, GRURInt. 2011, 676.

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